Editorial

Texte um Empire

Die in dieser Ausgabe versammelten Texte kreisen alle, in größerem oder kleinerem Abstand, um das Thema Empire (das Buch und der von ihm skizzierte Weltzustand). Sie behandeln, jeder auf seine Weise, Fragen wie u.a. die einer richtigen Lektüre der für Negri und Hardt grundlegenden „gefährlichen“ Autoren (Nietzsche, Carl Schmitt), die nach theoretischen Konkurrenzprojekten (Agamben), die nach der globalen Situation angesichts des islamischen Fundamentalismus und des „Krieges gegen den Terror“ sowie die nach den Bedingungen der Konstitution der „Multitude“. Ist dies durchaus schon ein umfassendes Themenspektrum, so müssen wir doch eine Lücke feststellen, die nicht nur bei uns, sondern generell in der Rezeption von Negri und Hardt existiert: die Konzentration auf die „harten“ (politischen) Inhalte führt zu einer Vernachlässigung der „weichen“ („geisteswissenschaftlichen") Inhalte des Empire-Paradigmas. Kein Wort also über Cyberpunk, Graf Dracula, the Cabinets of Curiosities oder die Monstren, kurz: über das Posthumane, das von Negri und Hardt völlig eindeutig als eine Konstitutionsbedingungen der „Multitude“ ausgewiesen worden ist. Texte zu diesen nur scheinbar marginalen Themen sind uns immer willkommen. Es kann nämlich sein, daß auch heute noch die entscheidenden Schläge mit der linken Hand geführt werden (Walter Benjamin).

In seinem Beitrag „Die verstreuten Körper der Menge. Zum Problem der Gemeinschaft in der politischen Philosophie“ zeigt Leander Scholz auf, wie Gemeinschaft unter den Bedingungen biopolitischer Produktionsverhältnisse neu zu denken ist. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, die mit der Dynamisierung von Dingen, Menschen und Zeichen Ströme in Gang setzt, die zunächst vom Staat durch eine räumliche Trennung von „privat“ und „politisch“ in Grenzen gehalten werden können, so daß klar umrissene Orte und Referenten gemeinschaftlicher und politischer Versammlung entstehen. Die informatorischen Netzwerke der biopolitischen Produktion setzen jedoch ausgehend vom Privaten Ströme frei, die diese Grenze überschreiten und in denen ständig die Grenzen neu gezogen werden: das führt letztlich zur Entgrenzung von Gemeinschaft. Auf der Agenda steht daher „eine Politik der Gemeinschaft, die nicht versammelt, sondern die in den Räumen entsteht, den die Ströme eröffnen.“

Sebastian Reinfeldt untersucht in seinem Beitrag Liberalismus – Fundamentalismus – Populismus die Veränderungen, die die liberalen Demokratien seit der Zeitenwende von 1989 durchmachen. Als wesentliches Kennzeichen wird dabei die Frontstellung der liberalen Ideologie gegen den Fundamentalismus herausgearbeitet, die einen permanenten gesellschaftlichen Ausnahmezustand erzeugt und die den Bedeutungshorizont politischer Artikulation derart dominiert, dass demokratische Ausgänge systematisch verschlossen werden. Mittels einer Rekonstruktion der Debatte zwischen Carl Schmitt und Hans Blumenberg, theoretischer Aspekte des späten Althusser und der biopolitischen Einsichten von Negri/Hardt bringt Reinfeldt mit den Begriffen Selbstbemächtigung, Aleatorik und Menge (Multitude) Begriffe gegen diese politische Hegemonie des Liberalismus ins Spiel, die dazu beitragen können, diese Ausgänge wieder zu erschließen.

In Kritik der Biopolitik – Kritik der Souveränität. Zur politischen Philosophie Giorgio Agambens und Antonio Negris werden Agamben und Negri als Zeitdiagnostiker präsentiert, die wichtige Kategorien für eine Analyse der neuen Weltordnung zur Verfügung stellen. Entgegen der staatsoffiziellen Deutung demokratischer Gesellschaften als anti-totalitär weist Richard Schwarz anhand des Homo sacer-Projekts von Agamben auf die Kontinuitätslinien zwischen demokratischen und totalitären Gesellschaften hin. So werden mit der Kategorie des Lagers, in denen Flüchtlinge auf ihr nacktes Leben reduziert werden und die Rechtsordnung außer Kraft gesetzt ist, Orte des Ausnahmezustandes umrissen, die strukturell in jedem demokratischen Nationalstaat angelegt sind und aus denen zukünftige Vernichtungslogiken entspringen können. Michael Heister zeigt daraufhin, wie Negri – besonders im Hinblick auf sein Empire-Buch mit Hardt – Perspektiven der Befreiung gewinnt, die auf der Höhe der Zeit sind. Mit Empire als Beschreibung für die neue Logik und Struktur der Bio-Macht, Multitude als Name für das biopolitische Subjekt und immaterieller Arbeit als Ausdruck seiner Produktionsmittel stellt uns Negri dabei Konzepte bereit, die die schöpferische Kraft des Lebens als Widerstandspol gegen die Bio-Macht in Anschlag bringen.

Daß Nietzsche entgegen der sich auf Georg Lukács berufenden Rezeptionslinie in der DDR kein Vorläufer des Faschismus und mitnichten ein Rassist und Antisemit war, macht Caroline Heinrich in ihrem Beitrag Existenz als Experiment: Zur Philosophie Nietzsches deutlich. So beruhe die nationalsozialistische Aneignung Nietzsches auf einer Übersetzung seiner Kategorien in die Kategorien des biologistischen Rassismus des 19. Jahrhunderts. Dieses Verfahren macht Heinrich rückgängig, um die Bedeutung und Stoßkraft von Kategorien wie Sklavenmoral, Rasse, Wille zur Macht oder Übermensch hervorzuheben – beispielsweise kann gerade über die Kategorien der Sklavenmoral und des Ressentiments ein wesentliches Grundelement der nazistischen Ideologie des Rassismus herausgeschält werden.

„Multitude“ ist ein Begriff, der in der laufenden politischen und theoretischen Diskussion zu vielen Ungereimtheiten und Mißverständnissen Anlaß gegeben hat. In einem Interview, dem wir das Zitat "Multitude ist ein organisatorisches Projekt" als Titel entnommen haben, zeigt Michael Hardt auf, was er und Antonio Negri unter dem Begriff „Multitude“ verstehen und was sie mit der Verwendung dieses Begriffs beabsichtigen. In diesem Zusammenhang kommen auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen theoretischen Ansätzen wie denen von Virno, Zizek, Agamben, Deleuze und Tronti und weitere Schlüsselbegriffe von Hardt/Negri wie Biopolitik, Demokratie, immaterielle Arbeit oder Widerstand zur Sprache.

 
 
Michael Heister und Richard Schwarz