Editorial
Die ersten drei Texte kreisen
auf unterschiedliche Art und Weise um die Fragen der Macht, um die
Repräsentationsformen des Subjekts bzw. der Subjekte und um die
Legitimation von Regierungsrationalität und können als Anschluß
an die Arbeiten von Michel Foucault angesehen werden, wobei sich
die ersten beiden Texte explizit auf Foucault beziehen.
So zeichnet Graham
Burchell anhand der Vorlesungen von Foucault aus den späten
70er Jahren die vielschichtige genealogische Linie des liberalen
Diskurses nach. Im Gegensatz zu anderen Einschätzungen, die den
Liberalismus als Gesellschaftsform begreifen und damit geradezu
verabsolutieren, verdeutlicht Burchell den Liberalismus als ein
Prinzip des Regierens, dessen Grundlage und Ziel das kollektive,
politische Subjekt der Nation bzw. der Gesellschaft bildet, das
er gegen andere Subjekte der Geschichte wie das der "Rasse" oder
der "Klasse" in Anschlag gebracht hat und dessen Existenz er zu
naturalisieren trachtet.
Basierend auf den Arbeiten Foucaults
zum Thema "Gouvernementalität" weist Robert
Castel auf eine historische Verschiebung der Regulation
abweichender Verhaltensweisen hin. So treten an die Stelle der klassischen
disziplinären Interventionen der Psychiatrie und der Sozialarbeit
zunehmend die präventiven Strategien der Administratoren aus dem
Verwaltungsapparat, die aufgrund eines völlig anderen Erkenntnisrasters
eine neue Form der sozialen Kontrolle installieren. Wurde in den
repressiven, panoptischen Einschließungsinstitutionen direkt auf
die als gefährlich angesehenen Individuen eingewirkt, konstruiert
die Verwaltung mit Hilfe der statistischen Aufbereitung umfangreichen
Datenmaterials zu den sozialen Risikogruppen die verschiedenen Bevölkerungsschichten,
auf die die sozialen Laufbahnen der Individuen zugeschnitten werden.
Ernesto
Laclau zeigt in seinem Text, daß die moderne politische
Theorie die Legitimität politischer Rationalität einem Subjekt,
einem historischen Akteur zuwies, dem aufgrund seiner sozialen Position
die Repräsentation der gesellschaftlichen Totalität und damit der
Emanzipation der Subjekte von Herrschaft und Macht zugetraut wurde.
Während für Laclau die postmoderne politische Theorie diesem epistemologischen
Horizont der Moderne verhaftet bleibt, indem es ihre Versprechungen
einfach negiert, plädiert Laclau die theoretische Aufmerksamkeit
auf den produktiven Aspekt der Artikulation politischer Repräsentationsformen
lenkend für eine Verschiebung der Leitmotive des modernen
emanzipatorischen Projekts.
Die beiden letzten Texte stellen
jeder auf seine Weise eine Auseinandersetzung mit dem Theorem einer
Ökonomisierung der Kultur dar, das bis heute den kritischen
Diskurs über das Verhältnis von Kultur und kapitalistischer
Ökonomie bestimmt. Um dessen vordergründige Plausibilität
zu unterminieren, werden zwei unterschiedliche Argumentationsweisen
vorgeschlagen.
Die Standardreferenz dieses
Diskurses im deutschsprachigen Raum, die Massenkulturkritik von
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, wird von Richard
Schwarz einer erneuten Lektüre unterzogen. Der routinemäßige
Bezug zeitgemäßer Massenkulturkritik auf die Tradition
der Kritischen Theorie erweist sich dabei als ein rein selektiver,
der sich auf frühe Texte von Theodor W. Adorno bezieht, deren
Position vom Standpunkt der Dialektik der Aufklärung
aus als obsolet anzusehen ist. Der dort eingeführte Begriff
der Kulturindustrie markiert nämlich den Bruch mit dem die
vorhergehenden Texte prägenden Ökonomismus der 30er Jahre
und den Beginn einer ideologietheoretischen Auseinandersetzung mit
dem Phänomen moderner Massenkultur.
Maurizio Lazzarato
geht dagegen von den Grundannahmen des ökonomischen Diskurses
aus und schlägt vor, dessen Argumentationsrichtung vollständig
umzukehren. Anstatt die Kultur als einen ungleichzeitigen gesellschaftlichen
Bereich anzusehen, der seit den 80er Jahren als nahezu vollständig
durch kapitalistische Verwertungsstrategien kolonisiert erscheint,
ist es realistischer, die für die Kultur eigentümlichen
Produktions-, Sozialisierungs- und Aneignungsweisen in den ökonomischen
Diskurs einzuführen. Realistisch ist diese Strategie deshalb,
da eine solche Neukonzeption der Politischen Ökonomie fähig
ist, jene Formen der "immateriellen Arbeit" zu erfassen,
die zur entscheidenden Produktivkraft geworden sind. Die emanzipatorischen
Potentiale der europäischen Kulturtradition sind nicht in den
traditionellen, vor dem Zugriff der Ökonomie beschützten
Reservaten zu realisieren, sondern nur in den neuen Formen der sozialen
Produktion von Reichtümern.
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